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  • Moghul
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    Analysen des Monats
    • 23.08.2012
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    #46
    Sorry, ich habe es nicht früher geschafft. Musste erst meine Wunden lecken, ein bisschen reflektieren – und dann gibt es ja auch noch diese ganzen lästigen Alltagssachen, wie z.B. Arbeit … Dennoch, auch wenn die Wahl jetzt schon eine Weile her ist, hier als Abbinder noch einmal die angekündigte Analyse, vielleicht ja gar nicht so schlecht, dass da jetzt ein bisschen Abstand ist. Ist wie immer ganz schön lang geworden, sorry. Deshalb unterteile ich das in drei Posts, vielleicht ist das dann verdaulicher.

    1. Wie wettet man auf politische Ereignisse?
    Keine Ahnung so genau, aber aus meiner Sicht spielen vor allem drei Faktoren eine Rolle:

    1. Umfragen
    Sind die verlässlich? Geht so. Zumindest wechselnd. In sehr vielen Fällen liegen Umfragen recht nahe am Endergebnis, natürlich umso verlässlicher, je näher sie am Wahltag liegen. Dabei gilt für mich: eine einzige Umfrage sagt so gut wie gar nichts. Aber zehn Umfragen, die in die gleiche Richtung deuten oder zumindest eine Dynamik aufzeigen, sagen eben doch schon etwas. Damit kann man immer noch ordentlich auf die Nase fallen, aber Umfragen nicht zu beachten, wäre schon arg fahrlässig.

    2. Inhaltliche Aspekte
    Da spielen Faktoren eine Rolle wie die Einschätzung der Kandidaten, X zusätzliche Faktoren, die von Wahl zu Wahl unterschiedlich sein können, die Bedeutung der Themen usw. usw. Ich glaube, da hat man bei Politik-Wetten zumindest meistens mehr Chancen als in vielen anderen Feldern, zumindest wenn man sich ein bisschen auf dem Laufenden hält. Eben weil die Bookies sich eben meistens nicht wirklich gut auskennen, sondern offenbar meistens auf Basis der Umfragen quotieren. Beim Fußball oder Basketball ist ja in den großen Ligen meistens nicht wirklich was zu holen, weil die Bookies da eine riesige Datenbasis haben, um Wahrscheinlichkeiten zu errechnen. Power ist in Island und im Baltikum ja deshalb so erfolgreich, weil er Dinge weiß, die die Bookies nicht berücksichtigen. So ähnlich ist das meiner Meinung nach bei Politik-Wetten auch. Man hat die Chance Dinge in die Einschätzung einfließen zu lassen, von denen die Bookies keine Ahnung haben.

    3. Abschätzen von Entwicklungen
    Auch hier sehe ich einen großen Unterschied zu den großen Publikumssportarten, bei denen mir niemand erzählen kann, er könnte die Spieldynamik gescheit voraussagen. Das ist bei Politikwetten oft anders. Deshalb habe ich ja in meinen Beiträgen sehr oft von der Dynamik gesprochen – eben weil ein Ereignis und noch ein Ereignis usw. vorab absehbar sein können und man dann mit etwas Überlegung durchaus kombinieren kann, was vermutlich als nächstes passiert.

    2. Was war meine Prognose?
    Ich fand klar, dass nach dem Ausscheiden Bidens die Karten neu gemischt werden und Harris eine realistische Chance hat. Ich habe von Anfang an und wiederholt gesagt, dass sie nicht die beste Kandidatin ist und in einer regulären Primary auf keinen Fall die Kandidatur gewonnen hätte. Aber es war spürbar, dass sich im Demokratischen Lager große Erleichterung breit gemacht hat, mit einer frischen Kandidatin antreten zu können und sich so auch eine durchaus spürbare Euphorie entwickelt hat. Zugleich war klar, dass Trump ein durchaus schlagbarer Gegner ist. Trump ist immer extrem kontrovers gesehen worden, Trump hatte 2016 und 2020 die Popular Vote deutlich verloren, er hat die Midterms 2018 krachend verloren, 2022 konnten die Republikaner mit ihm als Gallionsfigur ebenfalls nicht gewinnen. Trump hatte also nach oben immer einen Deckel. Bei den Vorwahlen in diesem Jahr hatte seine letzte Gegenspielerin Nikky Haley in den einzelnen Bundesstaaten immer noch 15-20% der Stimmen, selbst nachdem sie schon aus dem Rennen ausgestiegen war. Die Botschaft ist dann ja relativ klar: selbst ein wesentlicher Teil der Republikaner hat keinen Bock auf den.

    Meine Prognose für die Dynamik im Wahlkampf war: Harris holt in den Umfragen auf, Trump wird nervös und macht Trump-Dinge. Dann gab es absehbar ein paar Ereignisse, die Harris Rückenwind geben würden, nämlich die Nominierung des VP und der Parteitag, es war klar, dass Trump dann noch mehr Trump-Dinge tun würde und das der Altersunterschied eine Rolle spielen würde. Dann würden die Debatten kommen, bei denen auch offensichtlich war, dass Trump im Nachteil ist. Na ja, und insgesamt habe ich die Dynamik so gesehen, dass Trump mit seiner Base-only-Strategie immer extremer und abgedrehter werden muss und sich die Leute, die ihn vor vier Jahren aus dem Amt gewählt haben, nochmal an die Gründe dafür erinnern.

    Unter dem Strich war meine Kalkulation also immer, dass es für Harris ausreichen dürfte grobe Fehler zu vermeiden. Als entscheidend habe ich immer gesehen, dass Trump als Kandidat so abgedreht und so undiszipliniert ist, dass er sich selbst schlägt, so wie er das ja bei vergangenen Wahlen auch hinbekommen hat.

    3. Was ist im Wahlkampf dann tatsächlich passiert?
    Wenn man am Ende so deutlich daneben gelegen hat, klingt es wahrscheinlich ordentlich trotzig wenn ich sage, dass ziemlich viele Dinge fast exakt nach Drehbuch gelaufen sind.

    Harris (und ihr Team) hat meiner Meinung nach angesichts der Umstände unter dem Strich einen guten, wenn auch nicht sehr guten Wahlkampf geführt. Viele Dinge sind aus meiner Sicht richtig gelaufen: der DNC war gut choreographiert, sie hat dort und zu anderen Gelegenheiten sehr gute Reden gehalten, Tim Walz als VP-Pick fand ich sehr überzeugend, wie sie Trump in der Debatte zerlegt hat war grandios. Und all das hat sich dann in Maßgrößen gespiegelt, die gemeinhin als relevant gelten: ihre Umfragen waren gut (zumindest gemessen am Basis-Niveau der Biden-Zeit), der Enthusiasmus unter den Demokraten war viel höher als bei den Republikanern, die Veranstaltungen waren deutlich besser besucht, es gab viele Freiwillige, es gab ein ausgesprochen hohes Spendenaufkommen.

    Und auf der anderen Seite hat Trump ziemlich genau das gemacht, was absehbar war. Er hat letztendlich einen extrem monothematischen Wahlkampf geführt, der fast ausschließlich auf die Grenzpolitik ausgerichtet war. Und dabei hat er einfach grotesk überzeichnet. Und ansonsten hat er halt den unberechenbaren, undisziplinierten Freak gegeben. Sein VP-Pick war eher eine Last als ein Plus. Seine Rallys waren halt wie üblich Oppa Donalds Märchenstunde und es gibt sehr glaubwürdige Berichte, wonach selbst seine Berater ihn gehasst haben (u.a. wegen seiner Undiszipliniertheit). Bezeichnend diese völlig bizzare Veranstaltung, wo er nach einer Weile sagt, die Sachfragen würden eh niemanden interessieren und dann eine geschlagene halbe Stunde zu einer schlechten Playlist auf der Bühne schunkelt.

    4. Die letzte Woche
    In der letzten Woche sind eine ganze Menge Dinge passiert, die genau in mein Denkschema gepasst haben.

    Zum einen gab es diese Republikaner-Veranstaltung im Madison Quare Garden, die jeden nochmal daran erinnert hat, dass die Republikaner nur noch ein Haufen Extremer und Rassisten sind. Zudem gab es diese Trump-Äußerungen, wo er darüber phantasiert, wie es sich wohl anfühlen würde Liz Cheney vor 9 Gewehrläufe zu platzieren oder wo er erzählt, es würde ihm gar nichts ausmachen, wenn man ein paar von den Journalisten, die bei seiner Veranstaltung waren erschießen würde.

    Zugleich hat Harris vor allem in der letzten Woche noch einmal sehr gezielt um die moderaten Republikaner geworben. Die Message war sehr klar, eine Präsidentin für alle Amerikaner sein zu wollen. Ich fand diese auf Versöhnung und Einigung ausgerichtete Botschaft sehr nachvollziehbar und auch gut umgesetzt (he has an enemy list, I have a to-do-list …).

    In den Umfragen gab es aus meiner Sicht niemals einen entscheidenden Schwenk in eine Richtung. Vier Wochen vor der Wahl ist das Pendel ein bisschen in Richtung Trump geschwenkt. Aber es gab fast den ganzen Wahlkampf über Zahlen, die jedes Ergebnis denkbar erscheinen ließen, auch einen klaren Harris-Sieg. In jedem der großen Fernsehnetworks, auch bei Fox, war die immer wiederkehrende Formulierung „it will be close, it will be very close“.

    Ganz kurz vor der Wahl kam dann die Iowa-Umfrage der sehr angesehenen Polling-Veteranin Ann Selzer raus, die Harris vorne gesehen hatte. Der Punkt daran war nicht Iowa als solches, sondern dass dann entsprechende Wählergruppen in Wisconsin und Michigan ähnlich wählen würden. Außerdem gab es die Berichte über eine hohe Zahl von Frühwählern und Briefwählern, dabei einem sehr hohen Frauenanteil, was gemeinhin als Vorteil für Harris gesehen wurde. Zusammen mit der Dynamik der letzten Woche hat das dazu geführt, dass ich am Montagabend vor der Wahl sehr sehr optimistisch ins Bett gegangen bin. Ein enges Rennen, eine Dynamik, die für Harris spricht und ein anerkanntermaßen überlegenes Ground Game, das sprach für mich alles für einen knappen, aber überzeugenden Sieg der Demokraten – im Grunde habe ich das Ergebnis gerade andersherum erwartet. Interessanterweise hat auch die Trump-Kampagne in der letzten Woche auf den Panik-Modus umgeswitcht. Wie gesagt, es gibt sehr glaubwürdige Berichte darüber, dass das Trump-Team selbst nicht wirklich an einen Sieg geglaubt hat. Und dass die in der letzten Woche massiv das Narrativ vom Wahlbetrug in die Welt gesetzt haben, der sich da schon wieder abspielt, lässt sich ja nur als vorbeugende Maßnahme interpretieren. Die waren da schlicht schon auf der Suche nach Ausreden.

    Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich versuche hier nicht im Nachhinein eine krass verlorene Wette zu einer gewonnenen Wette umzuquatschen. Aber es gab es sehr gute Gründe für meine Annahmen, das sehe ich heute noch immer so.

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    • Moghul
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      #47
      5. Was war das Ergebnis?
      Trump hat gewonnen und er hat auch deutlich gewonnen, da gibt es wenig dran zu deuteln. Allerdings ist das Ergebnis nicht ganz so dramatisch, wie es sich vor einem Monat noch dargestellt und angefühlt hat:

      Trump hat die Popular Vote mit 49,9 zu 48,3 gewonnen. Zum Vergleich, 2016 lag das Ergebnis bei 48,2 zu 46,1 zugunsten von Clinton, 2020 bei 51,3 zu 46,9 zugunsten von Biden.

      Trump hat alle sieben Swing States gewonnen, dabei die nördlichen Staaten und Georgia mit einem Abstand von ca. 2 Prozentpunkten oder weniger (Arizona, Nevada, North Carolina ca. 3 Prozentpunkte). Gewonnen ist gewonnen, aber das ist immer noch in Schlagdistanz.

      Trump hat 312 Electoral Votes, das sind 6 mehr als Biden 2020. Das ist ein deutlicher Sieg, aber kein Erdrutsch (zum Vergleich, Obama hatte 2008 365EVs, 2012 hatte er 332 EVs.)

      Die Demokraten haben im Senat vier Sitze verloren, allerdings drei davon in tiefroten Staaten. In Pennsylvania zu verlieren (mit 0,2% Rückstand) ist allerdings sehr bitter.

      Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten ihr Ergebnis um einen Sitz (von 435) verbessert.

      Unter dem Strich: es gab eine rote Welle, aber keinen Tsunami.


      6. Und warum hat Trump jetzt gewonnen?
      Trump hat zwar in jedem Swing State Stimmen dazugewonnen, in absoluten Zahlen aber tatsächlich nicht wahnsinnig viel. Und in der Summe der Stimmen hat er nationwide die Zahl der Stimmen von 74 Millionen in 2020 auf jetzt gut 77 Millionen ausgeweitet – das entspricht in etwa dem Bevölkerungswachstum, das Statista mit 0,6% pro Jahr angibt. Interessanterweise entfällt ein großer Teil der zusätzlichen 3 Millionen Stimmen allein auf Texas und Florida, also Staaten mit hohem Latino-Anteil.

      Auch wenn das besserwisserisch klingt, ich sehe mich in meiner Meinung bestätigt, dass Trump im Grunde ein schwacher Kandidat ist. Er hat es eben nicht geschafft, Wähler in signifikantem Ausmaß dazuzugewinnen.

      Das Problem liegt woanders: Harris hat ca. 74,7 Millionen Stimmen geholt, Biden hatte 81 Millionen, sie hat also gut 6 Millionen Stimmen weniger, und da ist das Bevölkerungswachstum noch gar nicht eingerechnet.

      Anders ausgedrückt: Trump hat nicht gewonnen, Harris hat verloren.

      Auffällig sind zudem zwei andere Dinge: Harris hat Biden in den Swing-States um ca. 1,5% underperformed, in den Staaten, in denen im Grunde kein Wahlkampf geführt wurde, war der Abstand wesentlich größer, ca. 3,5%. Zweitens: die Senatskandidaten haben Harris in der Regel outperformed. In den entscheidenden Swing States, in denen Harris die Wahl verloren hat, haben jeweils die Demokratischen Senatskandidaten gewonnen, wenn auch zum Teil deutlich knapper als prognostiziert (Wisconsin, Michigan, Nevada, Arizona, Penn wurde mit 0,2% verloren Harris hatte 1,8% weniger). Es gibt auch Daten dazu, dass das sogenannte Ticket-Splitting deutlich zugenommen hat (Wahl eines Präsidentschaftskandidaten, zugleich Wahl des Senatskandidaten der anderen Partei), oder dass Leute nur den Präsidentschaftskandidaten gewählt haben, in diesen Fall halt Trump, und den Rest des Wahlscheins leer gelassen haben.

      Die Frage ist also, warum die Kandidatin Harris so relativ schlecht abgeschnitten hat, obwohl sie gegen einen schlagbaren Kandidaten angetreten ist. Dazu gibt es inzwischen ja jede Meinungen und Analysen und ich habe da keine eigenen Theorien, sondern fasse im Grunde nur zusammen, was eh überall steht.

      Ich glaube, es gibt eine Reihe spezifischer Harris-Probleme und eine Reihe struktureller Probleme, mit denen die Demokraten sich generell beschäftigen müssen.

      Harris-spezifisch:
      Ganz offensichtlich ist das eine Wahl gewesen, in der es darum ging, die bestehende Regierung abzustrafen, so wie das rund um den Globus gerade der Trend zu sein scheint. Und Harris ist es nicht ausreichend gelungen, sich von Biden abzusetzen. Sie ist da eben zu sehr mit seiner Politik assoziiert worden. Und wenn man den einen großen Fehler finden wollte, dann war das die Antwort „da fällt mir jetzt nichts ein“ als sie gefragt wurde, was sie denn anders gemacht hätte als Biden – ganz sicher ein falsches Verständnis von Loyalität. Ich glaube, es wäre relativ einfach gewesen, da einerseits loyal zu bleiben, andererseits klarzumachen, dass man z.B. in Fragen der Grenzsicherung Fehler sieht und das anders gemacht hätte. Ganz generell scheinen die Leute auch nicht wirklich zu verstehen, welche Rolle ein Vize hat: nämlich keine, die die Politik bestimmt. Vize ist der Ersatz, nicht der Co- Regierende.

      Zweitens, es ist den Demokraten letztlich nicht gelungen, Harris in der kurzen Zeit ein erkennbares, positives Profil zu geben. Bei Trump weiß man sofort für was er steht: Grenze, Wirtschaft, Amerika zuerst, Anti-Establishment. So hohl das alles inhaltlich ist, die Leute wissen woran sie sind. Harris hat offenbar zu sehr einen Anti-Trump-Wahlkampf gemacht ohne ausreichend vermitteln zu können, wie denn ihre Vision von Amerika aussieht.

      Drittens, Harris hat meiner Meinung nach im Wahlkampf ganz erheblich an Profil gewonnen und zum wiederholten male, ich finde sie hat sich erstaunlich gut geschlagen. Aber es gab ja nunmal einen Grund, dass sie bei ihrer eigenen Bewerbung 2020 chancenlos ausgeschieden ist und warum sie als VP niemals wirklich positive Beliebtheitswerte hatte. Das heißt, dass Harris als Person einem gewissen Teil der Wähler nicht gut genug zu vermitteln war (auch wenn z.B. ihre persönlichen Sympathiewerte weit vor Trump lagen).

      Schließlich: Reden wir nicht drumrum, die USA haben schon einmal eine Frau nicht gewählt. Vielleicht sind die Amis einfach nicht so weit. Und eine schwarze Frau noch dazu! Frau geht vielleicht, schwarz geht vielleicht (immerhin hat Obama gewonnen), aber schwarze Frau, das geht anscheinend zu weit. Das gilt natürlich nicht für die große Mehrheit, aber es reicht ja, wenn 10% sagen oder auch nur 5% sagen, sie können sich eine schwarze Frau nicht als Präsidentin im Weißen Haus vorstellen.

      Dieser Thread hat mal mit der Feststellung angefangen, dass Biden als Kandidat besser ist als sein Ruf. Und im Grunde hat sich genau das bewahrheitet. Biden in 2020 hatte den Vorteil, dass er für so viele unterschiedliche Wählergruppen ein akzeptabler Kandidat war. Er hat laut den Exit Polls auch wesentlich größere Anteile von Republikanern bzw. Konservativen gewonnen, als das Harris gelungen ist. Biden in 2024? Im Nachhinein fraglich, weil ich seine körperliche und geistige Fitness falsch eingeschätzt habe, wie ich eingestehen muss, zumindest was die Außenwirkung angeht.

      Zu den generellen Problemen:
      Bei den Midterms 2022 gab es für die Demokraten zwei Gewinnerthemen: Abtreibung und die fehlende Politikfähigkeit der Republikaner. Das sehr klare Signal, das die Wähler damals gesendet haben, war, dass sie keinen Bock mehr auf den Zirkus der Republikaner haben und Millionen von Frauen haben sich mobilisieren lassen, um für ihre Selbstbestimmung zu votieren. Das war in diesem Jahr offenbar nicht mehr das entscheidende Thema. Ich kann nicht sagen, warum das so war. Was sicher eine Rolle spielt, ist dass Social Media in der politischen Kommunikation eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Dass die Republikaner X Versuche gebraucht haben, um im Kongress einen Vorsitzenden zu wählen, und den dann von einer Minigruppe wieder haben absägen lassen, haben vermutlich nicht sehr viele Leute mitbekommen, wenn die nur bestimmte Quellen nutzen.

      Identity Politics: Dass ganze demographische Gruppen relativ geschlossen für eine Partei gestimmt haben, war lange Zeit eine Art sicheres Ding. Das bricht aber gerade massiv auf. Dass sich die Demokraten auf die Stimmen der Schwarzen und die Stimmen der Latinos verlassen konnten, scheint zumindest keine Gewissheit mehr zu sein, Harris hatte hier massive Verluste. Wichtiger als die (im Zwiefel ethnisch oder religiös begründete) Identität scheint zunehmend der soziale Status zu sein / zu werden. In der Tendenz gilt: je höher der Bildungsgrad und das Einkommen, desto stärker die Neigung zu den Demokraten und umgekehrt, je schlechter ausgebildet und je geringer das Einkommen, desto eher haben die Leute für Trump gestimmt.

      Damit eng zusammenhängend werden die Demokraten offenbar von einem wesentlichen Teil der Wählerschaft als Repräsentanten einer abgehobenen Elite gesehen, die man gerne loswerden will. Dahinter steckt offenbar eine etwas abstrakte generelle destruktive Wut auf das gesamte System. Aus Sicht vieler Wähler sind die Verhältnisse zunehmend ungeordnet, unüberschaubar, ungerecht – und Schuld sind die alten Eliten. Schmeißt die Penner raus! Das hätte genauso einen konventionellen Republikaner treffen können. Und selbst wenn noch so sichtbar ist, dass Trump ordentlich einen an der Backe hat, steht er zumindest für den Bruch mit dem alten System, das als nicht mehr funktional gesehen wird.

      Was ist da dran? Natürlich ist da ganz viel extrem stupides verschwörungstheoretisches Geschwurbel dabei. Und natürlich hat Trump da teilweise einfach irgendwelche Phantasie-Narrative aufgebaut. Ich habe hier mehrfach geäußert, dass ich vor die Wahl gestellt, die Demokraten gegenüber Trump natürlich jederzeit vorziehen würde – dass ich die Demokraten aber im Kern verachte. Denn man muss ja schon fragen, ob die Demokraten denn geliefert haben? Und da muss man sagen: ziemlich begrenzt.

      Biden hat einerseits in seiner Amtszeit ganz viele Projekte angestoßen, von denen Trump profitieren wird, er hat massiv Arbeitsplätze im industriellen Sektor geschaffen, die Wirtschaft läuft im Grunde auf Hochtouren. Aber es bleibt trotzdem dabei, dass die USA für eine entwickelte Industrienation eine hanebüchen niedrige Lebenserwartung haben, dass da eine absurde Schere in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen herrscht, dass ganze Landstriche ein massives Drogenproblem haben (an dem die Mexikaner übrigens im Kern nicht schuld sind, sondern die Perspektivlosigkeit der Leute), dass es riesige Unterschiede im Bildungsniveau gibt, dass der amerikanische Traum, sich mit harter Arbeit etwas aufbauen zu können zunehmend unrealistisch wird.
      Biden hat (von mehreren Journalisten bestätigt) im Wahlkampf 2020 mal bei einem Fundraising-Event vor reichen Spendern gesagt, die sollten ihn unterstützen, weil die Demokraten wenigstens dafür sorgen würden, dass die Verhältnisse so unter Kontrolle bleiben würden, dass keine Revolution ausbricht. Na, das ist ja mal ein ambitioniertes Ziel!

      Wie sieht es eigentlich aus in den Bundesstaaten, die von Demokraten regiert werden, in Kalifornien, New Jersey, Washington, Oregon? Man kann schon sagen, dass es da für die Leute besser läuft. Aber Obdachlosigkeit, massive Ungleichheit, unbezahlbares Wohnen usw. ist auch da ein Problem – an dessen Lösung die Demokraten nicht wirklich arbeiten.


      Natürlich ist die Lösung dafür nicht, Trump zu wählen, der im Kern nur an seiner persönlichen Bereicherung und an Wohltaten für seine Milliardärskumpels interessiert ist. Aber wenn die Demokraten eben nicht liefern, dann lässt sich eine irgendwie unspezifische, destruktive Weltwut auf alles Etablierte bei vielen Leuten auch irgendwo nachvollziehen.

      Dazu kommt, dass die Republikaner insofern einen sehr effektiven Wahlkampf geführt haben, als sie Harris als pinko-kommunistische-woke-Kandidatin gezeichnet haben. Die haben allein 65 Millionen in einen Spot investiert, in dem verbreitet wird, dass Harris dafür verantwortlich sei, dass Geschlechtsumwandlungen von Transmenschen auch bei Gefängnisinsassen durchgeführt werden. Die Wahrheit ist, das entsprechende Gesetz gab es auch zu Trump-Zeiten und es gab zu Zeiten von Bidens Präsidentschaft genau zwei solcher Operationen. Das Problem ist angesichts der wirklichen Probleme dieses Landes wirklich zu vernachlässigen. Aber wenn sich da ein Eindruck festsetzt, dann hat das am Ende auch einen Effekt. Und Harris hat in diesem Punkt im Fox-News-Verhör auch nicht gut reagiert. Sie sagte, dass geltendes Recht angewandt wurde, welches auch schon unter Trump bestand. Warum sagt sie an der Stelle dann nicht auch noch, dass sie selbst dieses Gesetz aber für unsinnig hält? Und anscheinend ist Harris deshalb nicht zu Joe Rogan gegangen (Trumps Auftritt hatte 50 Millionen Aufrufe!), weil das Team befürchtet hat, den progressiven Flügel der Demokraten zu verärgern. Wenn das stimmt, dann hat das blaue Team da einen Pfad gewählt, auf dem landesweite Wahlen nur schwer zu gewinnen sind, selbst gegen eine Luftnummer wie Trump.

      Die Demokraten werden da in Zukunft einen Kurs finden müssen. Der Richtungsstreit scheint im Augenblick auf zwei Optionen hinauszulaufen. Entweder man rückt näher an das heran, was die Amis als Mitte bezeichnen. Oder man versucht wieder stärker die Vertretung der einfachen Arbeiter zu werden, so wie das seit FDRs Zeiten der Fall war. Wird und ist eine interessante Auseinandersetzung.

      Und nicht nur damit ich mir den Vorwurf erspare, ich würde zu einseitig sein: ja, auch die Trump-Kampagne hat ein paar Sachen offensichtlich sehr gut gemacht. Dazu zählt für mich in erster Linie der Social-Media-Einsatz, da waren sie deutlich besser als die Demokraten. Welche Rolle Musk insgesamt gespielt hat, ist schwer abzuschätzen, aber dass er Twitter als eindeutig ausgerichtete Propagandaplattform genutzt hat mit einer unfassbar hohen Zahl an aufgerufenen Posts voller Desinformation, dürfte Trump sicher geholfen haben. Auch die Auftritte bei Podcasts hat das Trump-Team viel besser in der Hand gehabt als die Demokraten. Und schließlich, die sind genau an die Orte gegangen, wo sie ihre Wählerschichten hatten, sie haben auf Rodeos, bei Nascar-Rennen usw. Wählerregistrierungen organisiert, das war sicher gut, ich habe die Qualität von Trumps Team ja auch mehrfach hervorgehoben.

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      • Moghul
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        • 23.08.2012
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        #48
        7. Die 1-Milllionen-Dollar- (bzw. 75-Einheiten-)Frage: Wo liegen jetzt meine Fehler?

        Was genau habe ich denn jetzt falsch gemacht?

        Sagen wir mal so, ich hadere da natürlich sehr mit mir, aber ich sehe nicht den einen großen Fehler, auch mit etwas Abstand nicht. Und auch wenn das jetzt wirklich ein bisschen trotzig klingt, bei gleichem Informationsstand würde ich tatsächlich die meisten Wetten genauso wieder spielen. Es gibt einzelne Wetten, die ich mir sicher hätte sparen sollen, wie auch schonmal hier eingestanden – Popular Vote zu 1,25 ohne sehr klare Unterstützung durch die Zahlen, das war sicher nicht clever. Aber für (fast) alle anderen Wetten gab es (zum Zeitpunkt der Wettabgabe und zu der jeweiligen Quote) tatsächlich gute Gründe.

        Mal aus einer anderen Perspektive betrachtet: 538 hat am Wahltag eine 50/50-Chance vorausgesagt und, wie gesagt, bei den großen Fernsehnetworks war die übliche Formulierung, dass es sehr sehr eng wird. Dazu mal ein bedeutender Punkt: Die Umfragen des Siena College für die New York Times werden von 538 an Nummer 1 unter allen Pollsters gerankt. Und die Pointe ist: für Harris liegen die letzten Umfragen ziemlich richtig, sehr geringe Abweichungen. Für Trump sind die Werte im Schnitt um 3,5% zu niedrig, teilweise außerhalb der Fehlertoleranz. Das heißt, die Pollsters haben nach 2016 und 2020 Trump das dritte mal systematisch unterschätzt. Eine oft geäußerte Spekulation vorab war eher, dass die Institute womöglich eher Harris unterschätzen, eben um eine erneute Blamage zu vermeiden. Aber Pustekuchen. Es scheint tatsächlich so, dass Trump Leute an die Urne bringt, die sonst nicht wählen, und die deshalb nicht als likely voters bei den Instituten eingeschätzt werden. Das in dieser Form vorauszusagen ist schlicht nicht möglich.

        Natürlich, die oben aufgeführten Argumente habe ich in ihrer Wirkung offensichtlich falsch eingeschätzt. Aber wie gesagt, das würde ich bei gleichem Informationsstand wohl wieder tun. Und dennoch, zwei Dinge hätte ich im Nachhinein betrachtet höher gewichten sollen:

        Erstens: es gab vor ca. einem Jahr mal eine Erhebung, nach der einem sehr großen Teil der Amerikaner Demokratie als solches nicht (mehr) wichtig ist. Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, aber es war größenordnungsmäßig sehr bedeutend. Ich habe noch die Zeiten vor Augen, wo die Republikaner ständig mit den Founding Fathers und der Verfassung rumgewedelt haben. Das scheint kein wichtiger Faktor mehr zu sein, der Mehrheit war es egal, dass Trump das letzte Ergebnis einfach nicht akzeptiert hat, oder sie haben sogar seinen Lügen geglaubt. Ich hätte wohl höher gewichten müssen, dass sich die Leute an Trump und seine Grenzüberschreitungen gewöhnt haben (wer Lust hat, kann sich mal die Debatten zwischen Obama und Romney oder Obama und McCain anschauen – unfassbar wie zivilisiert es mal zuging) und dass ihnen Demokratie egal ist, fast im Gegenteil, dass da in bedeutenden Kreisen völlige Destruktivität da ist.

        Zweitens: ich will jetzt nicht wieder einen großen Streit mit den Trump-Fans hier anfangen, aber aus meiner Sicht hat sich Trumps Position im Vergleich zu 2016 und erst recht zu 2020 wesentlich verschlechtert. Es gab hier ja mal den Kommentar eines Users (ich glaube ‚Demokrat‘), der schrieb, das kommt halt davon wenn die meisten Amis nicht lesen und nicht schreiben können. Das würde ich so nicht formulieren, aber dennoch: Ich sehe tatsächlich kein Politikfeld, in dem Trump das bessere Angebot machen würde. Sein Wirtschaftsprogramm ist von X Nobelpreisträgen verrissen worden, für die Situation an der Grenze hatten die Demokraten ein Konzept, dessen Umsetzung Trump verhindert hat, Umweltpolitik ein Desaster, Klimapolitik: buchstäblich brandgefährlich, Außenpolitik: vor vier Jahren von Kim Jong Un, Xie und Putin vorgeführt worden, im Kern hat er das Desaster in Afghanistan zu verantworten usw. usw. Dazu die offensichtliche Korruption und fehlende persönliche Integrität, dass er gewohnheitsmäßig lügt, ist eh bekannt, er ist inzwischen verurteilter Straftäter und hat weitere Urteile nur durch Verzögerungstaktik verhindert (wie doof von den Demokraten übrigens), es ist gerichtlich festgehalten, dass er eine Frau vergewaltigt hat, er hat den Putsch vom 6. Januar veranlasst und anschließend verharmlost, er ist älter geworden und eindeutig im kognitiven decline usw. usw. So sehr man die Demokraten kritisieren muss, ich sehe keinen, wirklich keinen Grund Trump zu wählen. Und mit den Verurteilungen, mit dem Putschversuch, mit dem Abtreibungsurteil, mit dem offensichtlichen kognitiven Verfall ist seine Position schlechter geworden.

        Dass trotz alledem durchweg ein enges Rennen prognostiziert war, hätte mir zu denken geben sollen. Das muss ich mir wohl vorwerfen …

        Es mag ein bisschen unfein sein, aber ich verlinke nochmal zu den Threads von 2022 und von 2020 (ob ich 2018 einen geführt habe, weiß ich nicht mehr). 75 Einheiten zu verlieren macht keinen Spaß. Aber die Ergebnisse von 2020 und 2022 zeigen immerhin, dass mein Ansatz auch schon einmal funktioniert hat.

        https://www.sportwettenvergleich.net/wettforum/wettvorschl%C3%A4ge/sonstige-wetten/5272529-wahlen-us-midterms-2022

        https://www.sportwettenvergleich.net/wettforum/wettvorschl%C3%A4ge/sonstige-wetten/4850784-us-wahl-2020/page4

        Ob ich 2026 wieder am Start bin, weiß ich noch nicht. Ich werde sicher ab und zu im Trump-Watch-Ordner (will ich demnächst unter Sonstiges öffnen, wie schonmal angekündigt) etwas posten. Aber für eine Weile werde ich erst einmal weiter meine Wunden lecken. Und natürlich muss ich mir überlegen, ob mein Ansatz Politik zu analysieren heute noch funktioniert oder ob da inzwischen Gesetzmäßigkeiten gelten, die ich nicht mehr voll durchschaue. Denn so ganz 100% scheint ja auch diese Analyse noch nicht zu erklären, was da passiert ist.

        Allen viel Erfolg und nochmal Danke für die Zurückhaltung, was hämische Reaktionen angeht!

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